Was ist ein Ankerzentrum? Alle Fakten zum Durchgangslager für Flüchtlinge
Was ist der Unterschied zwischen einer Flüchtlingsunterkunft und einem Ankerzentrum? In welchen Bundesländern plant Horst Seehofer diese und ab wann? Und was spricht gegen die angekündigten Durchgangsstationen?
Was ist ein Ankerzentrum?
Die Bezeichnung Ankerzentrum steht für eine Durchgangsstation für Flüchtlinge. Anker hat hier aber nichts mit einer Vorrichtung zu tun, die Schiffe am Grund festmacht, sondern setzt sich zusammen aus: Ank = Ankunft, E = Entscheidung, R = Rückführung.
Wie funktioniert ein Ankerzentrum?
Die Idee des Ankerzentrums ist es, den gesamten Prozess des Asylverfahrens unter einem Dach abwickeln zu können, respektive das Asylverfahren zu beschleunigen. Sprich, Ausländerbehörden, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BamF), Ärzte und auch Richter sind vor Ort - und von der Ankunft über das Stellen des Asylantrages bis hin zur Entscheidung wird alles im Ankerzentrum geregelt. Wie das Ankerzentrum im Detail funktionieren soll, ist aber noch unklar.
Das Konzept „Ankerzentrum“
Die Ankerzentren sind ein Konzept von Bundesinnenminster Horst Seehofer (CSU). Den Bau der Zentren haben Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart.
Was verspricht man sich von Ankerzentren?
Von den Ankerzentren verspricht man sich unter anderem, dass Behörden und Gerichte die Asylbewerber identifizieren, besser kontaktieren und zu Gerichtsverhandlungen bringen können. Solche Möglichkeiten sollen insgesamt dazu beitragen, dass das gesamte Verfahren auf maximal 18 Monate begrenzt werden kann.
Was kommt nach dem Ankerzentrum?
Wird der Asylantrag bewilligt, wird der Antragsteller in eine der Kommunen überführt. Ist der Bescheid negativ, soll der Flüchtling direkt aus dem Ankerzentrum in sein Heimatland abgeschoben werden.
Ab wann und wo sind Ankerzentren geplant?
Das erste Ankerzentrum für bis zu 1500 Flüchtlinge ist für Herbst 2018 geplant. Insgesamt geht Horst Seehofer von bis zu 40 Zentren in ganz Deutschland aus. Wo die Ankerzentren entstehen sollen, ist noch nicht klar. Laut CSU-Politiker Mayer würde es sich anbieten, für das Zentrum eine bereits vorhandene Einrichtung zu nutzen. Er denke dabei an die Standorte in Manching oder Bamberg in Bayern.
Erst einmal nur eine Pilotphase
Angedacht ist, dass das erste Ankerzentrum im Herbst 2018 eröffnet werden kann und ab da für sechs Monate eine Testphase läuft. Danach wird evaluiert, ob die Idee des neustrukturierten Durchgangslagers für Flüchtlinge in der Praxis etwas taugt. Falls ja, müsste die Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen und wäre auch auf die Hilfe der Länder angewiesen. Während der Pilotphase ist keine gesetzliche Grundlage erforderlich. Interesse am Pilotprojekt zeigen bislang nur Bayern und Sachsen. Seehofer wollte außerdem Niedersachsen und ein ostdeutsches Bundesland für seine Ankerzentren gewinnen, die Regierungen von Niedersachsen hat sich jedoch gegen eine Teilnahme am "Anker-Projekt" entschieden.
Kritik am Konzept "Ankerzentrum"
- Erschwerte Integration
Kritisiert wird vor allem die erschwerte Integration der Flüchtlinge, da diese im Ankerzentrum weitgehend von der Bevölkerung isoliert wären.
- Hohes Konflikt- und Aggressionspotential
Das Konfliktpotential in einem Ankerzentrum wird als hoch eingestuft, da abgelehnte Bewerber, die ihre Abschiebung erwarten, in dieser Einrichtung mit solchen Menschen zusammentreffen, die ihren Asylantrag erst noch stellen müssen.
- Zuständigkeit
Das Konzept sieht vor, dass in den Ankerzentren die Bundespolizei für Ordnung sorgen soll. Das sorgt für Unmut bei den Gewerkschaften der Polizei. Mit dem Argument, dass sie ausgebildete Polizisten und kein Wachpersonal seien, haben sich diese deutlich dagegen ausgesprochen.
- Zu hohe Auslastung
1500 Flüchtlinge unter einem Dach unterbringen zu wollen, könnte sich als schwierig erweisen. Die Aufnahmeeinrichtung im bayerischen Oberfranken in Bamberg beherbergt gegenwärtig rund 1300 Flüchtlinge, was Helfer und Polizei an ihre Grenzen bringt.
- Kein Ort für Kinder
Die Flüchtlingsunterstützungsorganisation "Pro Asyl" und weitere 23 Flüchtlings- und Familienverbände verweisen darauf, dass Ankerzentren kein geeigneter Ort für Kinder und Jugendliche seien. Nach Angaben der Verbände waren 45 Prozent der Flüchtlinge, die sich im Jahr 2017 in Deutschland befanden, Kinder und Jugendliche.
- Die Frage nach der Effizienz
Unklar ist zur Zeit auch, inwiefern ein Ankerzentrum Abschiebungen beschleunigen kann. Denn Identitätspapiere und Einwilligungen von Herkunftsstaaten zu bekommen, seien strukturelle Problem, die weiterhin bestehen blieben, wie Experten kritisieren.
- Problematik Massenunterkünfte
Als Vorbild für die Ankerzentren-Pläne gelten die bayerischen Einrichtungen in Manching und Bamberg. In den dortigen »Transitzentren« leben Tausende Flüchtlinge. Probleme, die hier zu beobachten sind, lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf die geplanten Ankerzentren übertragen. Der Bamberger Oberbürgermeister hatte während der Sondierungsgespräche bereits vor der Einrichtung weiterer Massenunterkünfte gewarnt.
- Stigmatisierung
Die dauerhafte Unterbringung in solchen, mit Stacheldraht gesicherten, Massenunterkünften führt zu einer Stigmatisierung der Menschen, die in ihnen leben. Sie werden vom Kontakt zur hier lebenden Bevölkerung quasi ausgeschlossen. Es entstehen Berührungsängste und es wird ein überaus problematisches Signal an die Bevölkerung gesendet: Flüchtlinge als gesellschaftlich Nichtzugehörige und als Sicherheitsproblem.
- Fehlende Informationen
Darüber, wie die Zentren im Detail aussehen sollen, gibt es kaum Informationen. Es fehlen klare Vorgaben, ein Konzept oder zumindest ein Eckpunktpapier - doch noch nicht einmal zum Standort (Stadt/Land) noch zur Bezahlung gibt es Angaben.
Wie realistisch ist ein Ankerzentrum in naher Zukunft?
Für die Erstaufnahme der Asylbewerber und auch für deren Abschiebung sind in Deutschland die Bundesländer zuständig, sprich sie haben das letzte Wort. Bislang zeigen nur Bayern und Sachsen an den Ankerzentren überhaupt Interesse. Der Testlauf für die Ankerzentren ist aber für fünf Bundesländer vorgesehen. Weitere Befürworter zu finden, dürfte allerdings schwer werden. Die meisten Bundesländer haben bereits angegeben, dass sie sich gänzlich aus dem geplanten Projekt heraushalten oder zumindest vorerst einmal abwarten werden.