Gehirnforschung: Das Altern wirkt sich ganz anders auf das Gehirn aus als angenommen
Wissenschaftler haben eine völlig unerwartete Entdeckung hinsichtlich der Entwicklung des menschlichen Gehirns gemacht. Das Altern wirkt sich ganz anders auf das Gehirn aus als bisher angenommen.
Mal überrascht die Forschung mit komplett hergestellten Mini-Gehirnen, dann zeigt sie uns, dass die größten Gehirne nicht die intelligentesten sind. Aber vor allem der Einfluss des Alters auf das Gehirn wird untersucht und dabei fragen sich einige, ob es ein aktives Liebesleben ist, das es am besten jung hält.
Aber auch das Altern des Gehirns fasziniert die Forscher. Im Gegensatz zu anderen Studien dieser Art belegen jetzt Wissenschaftler mit einer neuen Studie, dass nicht nur bei jungen, sondern auch bei älteren Menschen im sogenannten Hippocampus, dem Teil des Gehirns, der für Erinnerungen und Lernen verantwortlich ist, neue Nervenzellen entstehen können.
Für die Wissenschaftler ist dies ein Beweis dafür, dass die Fähigkeiten des Gehirns, neue Nervenzellen zu bilden, mit fortschreitendem Alter nicht nachlassen.
Alter ≠ Senilität
Alter muss nicht unbedingt gleichbedeutend mit Senilität sein. Im Gegensatz von mancher vorgefassten Meinung kann es das Gehirn älterer Menschen durchaus mit dem jüngerer Menschen aufnehmen. Jedenfalls was die Jugend der Gehirnzellen anbelangt.
Tatsächlich haben amerikanische Wissenschaftler in einer Studie entdeckt, dass das Gehirn gesunder Menschen sein Leben lang Neuronen bilden kann. Die Ergebnisse ihrer Studie sind in der Fachzeitschrift Cell Stem Cell erschienen. Die Hauptautorin der Studie Maura Boldrini, Neurobiologin an der US-amerikanischen University of Columbia, meint dazu: "Während meines Medizinstudiums hat es noch geheißen, dass unser Gehirn im Laufe des Lebens keine neuen Gehirnzellen mehr bildet."
Eine Behauptung, die inzwischen mehrfach von neuen Forschungsergebnissen widerlegt worden ist. Doch die Neurobiologin Maura Boldrini und ihr Team wollten es nicht dabei belassen und der Sache im Detail auf den Grund gehen.
Für ihre Studie haben die Wissenschaftler das Gehirn von 28 Gehirnspendern im Alter von 14 bis 70 Jahren untersucht. Sämtliche Organe waren nach der gleichen Technik präpariert und konserviert worden und stammten von gesunden Menschen, die zu Lebzeiten keine Antidepressiva oder Betäubungsmittel konsumiert hatten.
Gesunde und genau untersuchte Organe
Wahrscheinlich ist es dieser außergewöhnlich hohen Qualität der untersuchten Organspenden auch zuzuschreiben, dass die Gehirnforscher andere Arbeiten neueren Datums widerlegen konnten, die behaupten, dass das Gehirn älterer Menschen schon ab der Jugendzeit weniger neue Gehirnzellen produzieren.
Maura Boldrini jedoch hat ihre eigene Theorie hinsichtlich dieser Hypothese. Für die Bioneurologin liegen die Unterschiede der Ergebnisse an der Qualität der untersuchten Gewebeproben, doch andererseits sicher auch an der von ihr und ihrem Team angewandten Analysetechnik.
Tatsächlich war bei vorhergehenden Studien die Rückverfolgbarkeit der Organspender teils nicht gegeben. Nach Angaben der amerikanischen Neurobiologin stammten die von ihren Kollegen untersuchten Gehirne oft von Menschen mit sehr unterschiedlichem Gesundheitszustand und sogar neurobiologischen Störungen wie Epilepsie. Dann waren die Organe teils auch sehr unterschiedlich konserviert, was Zweifel hinsichtlich der Erhaltung ihrer Strukturen aufkommen ließ. Wer sollte da noch frisch gebildete Zellen nachweisen zu können?
Angesichts dessen, dass es sich diesmal um gesunde Gewebeproben von rückverfolgbaren Organspendern handelte, haben Maura Boldrini und ihr Team eine ganz bestimmte Struktur untersucht, die mit Gedächtnis und Lernfähigkeit zu tun hat, nämlich den Hippocampus. Dazu haben die Wissenschaftler diesen sehr dünn geteilt und die Proben dann unter dem Mikroskop beobachtet, um die Neurogenese und alle neu gebildeten Zellen nachweisen zu können. Eine besonders schwierige Aufgabe an einem menschlichen Gehirn.
Eine komplexe Aufgabe
Das Gehirn von Mäusen zu untersuchen, ist nicht schwer. Ihr kleines Gehirn ist leicht zu zerschneiden und ihre Zellen lassen sich problemlos beobachten und zählen.
Maura Boldrini hebt hervor, dass es beim menschlichen Gehirn ein leistungsfähiges Computerprogramm benötigt, um jede Zelle unter dem Mikroskop untersuchen und zählen zu können.
Diese Untersuchung hat ergeben, dass das Gehirn älterer Menschen nicht weniger neue Zellen bildet wie das Gehirn junger Menschen. Die Anzahl neugebildeter Neuronen bei den Gewebespendern mittleren Alters und denen älterer Menschen war genau gleich. Wenn auch mit einer leichten Einschränkung: Bei den Siebzigjährigen war die Anzahl neuronaler Stammzellen gegenüber denen zwanzigjähriger Spender dann doch leicht rückläufig.
Dazu wiesen sie auch weniger neue Blutgefäße und neue Verbindungen zwischen Neuronen auf. Also doch Anzeichen eines möglichen Plastizitätsverlusts des Gehirns, auch wenn nach Ansicht der Wissenschaftlerin die Folgen dieser Unterschiede für die Gehirnfunktion auch noch nicht eindeutig geklärt sind. Schließlich befasste sich ihre Gehirnstudie mit der Untersuchung der Struktur und nicht der Aktivität des Gehirns.
Umstrittene Schlussfolgerungen
Nach Maura Boldrini erklärt die Entdeckung, dass der Hippocampus selbst im hohen Alter noch neue Nervenzellen produzieren kann, wie es kommt, dass manche Menschen ihr ganzes Leben lang ein gesundes Gehirn behalten. Diese Annahme bleibt jedoch umstritten und wird von anderen Wissenschaftlern in Frage gestellt, die darauf drängen, die Forschungsergebnisse durch weitere Studien zu erweitern und zu vertiefen.
"Wir bezweifeln, dass es sich bei den sogenannten neuen Neuronen, tatsächlich um neugebildete Neuronen handelt", wirft Arturo Alvarez-Buylla von der University of California in San-Francisco ein, der Co-Autor der Studie, die erst vor kurzem die Abwesenheit neuer Gehirnzellen bei älteren Menschen nachgewiesen hatte. Zwischen den Forscherteams ist nun eine heiße Debatte entbrannt, die sich so schnell wohl auch nicht wieder abkühlen wird.