Verformter Schädel aus Peru: Ist das Geheimnis endlich geklärt?
Amerikanische Wissenschaftler glauben, endlich das Geheimnis des in Peru gefundenen länglichen Schädels gelüftet zu haben. Ihren Studien zufolge signalisiert diese Schädelverformung die Zugehörigkeit zu einer Elite. Doch was steckt genau dahinter?
Nach und nach klären sich die Fragen zu den länglichen Schädeln aus Peru. Wahrscheinlich habt ihr auch schon einmal Bilder von diesen ungewöhnlich verformten Schädeln gesehen. Entgegen einiger Vermutungen weiß man heute, dass sie sehr wohl menschlichen Ursprungs sind. Die Menschen haben wohl nach der Geburt freiwillig eine Verformung des Kopfes durchgeführt, um ihn zu verlängern. Ein Vorgehen, das wesentlich verbreiteter war, als man denken mag.
Warum wurde der Schädel verlängert?
Forschungen haben ergeben, dass diese Art der Deformation von unterschiedlichen Kulturen auf der ganzen Welt praktiziert wurde. Aber warum sollte man seinen Schädel auf diese Weise verlängern? Eine in der Fachzeitschrift Current Anthropology erschienene Studie bringt Licht ins Dunkel dieses Mysteriums. Die an der Cornell University in den USA durchgeführte Studie beschäftigt sich insbesondere mit dem Fall der Collagua-Kultur.
Diese kleine ethnische Gemeinschaft lebte zwischen 1100 und 1450 – also etwa 300 Jahre vor dem Höhepunkt des Inka-Imperiums – im Colca-Tal im Südosten Perus. Noch heute sind dort viele Spuren aus ihrer Zeit zu finden; insbesondere Friedhöfe, auf denen zum Teil sonderbar verformte Schädel liegen. Auch in alten spanischen Berichten von 1500 wird dieses Verfahren zur Verformung der Schädel erwähnt und die Köpfe der Collagua als lang und dünn beschrieben.
Allerdings war diese Ethnie nicht die einzige, die zu der Zeit in dieser Region lebte. Auch die Cavana scheinen diese Art der Deformation praktiziert zu haben. Aus den Berichten der Spanier geht hervor, dass die Köpfe der Cavanas lang und breit waren. Die neue Studie ergab nun, dass dieses Verfahren im Laufe der Jahre von viel mehr Gemeinschaften ausgeübt wurde, als bisher angenommen.
211 untersuchte Schädel
Um zu dieser Schlussfolgerung zu kommen, haben die Wissenschaftler 211 Schädel von zwei Collagua-Friedhöfen untersucht. 97 von ihnen stammen von einer frühzeitigen Gesellschaft, die zwischen 1150 und 1300 lebte und die anderen 114 Schädel aus dem Zeitraum zwischen 1300 und 1450. So konnten die Wissenschaftler feststellen, dass sich die Art der Deformation im Laufe der Zeit veränderte. Von der ersten Gruppe waren 38 Schädel deformiert, 14 davon auf extreme Weise.
Manche Schädel waren leicht bis deutlich verlängert, während andere eine breite und gedrungene Form aufwiesen. In der zweiten Gruppe hingegen waren 74 % der 114 Schädel deformiert und eine große Mehrzahl (mehr als 60 %) wies eine stark verlängerte Form auf. Doch damit nicht genug, denn die Wissenschaftler konnten einen Zusammenhang zwischen der Verformung der Knochen und der sozialen Stellung der Individuen nachweisen.
In der ersten Gruppe gehörten 13 von 14 sehr länglichen Schädeln zu Individuen aus niedrigeren Schichten, während 21 Schädel von weniger ausgeprägter Form scheinbar einer höheren Schicht angehörten. Die Schädel der zweiten Gruppe stammten jedoch alle aus den Grabstätten der Collagua-Elite.
Ein Verfahren für die Elite
Dem Hauptautor der Studie, Matthew Velasco, zufolge war dieses Verfahren zunächst unter Mitgliedern niedrigerer Gesellschaftsschichten verbreitet. Bis 1300 hat dann jede der lokalen Gemeinschaften ihre eigene Art der Verformung entwickelt.
Im Anschluss daran wurde die Deformation der Schädel immer häufiger genutzt, um den sozialen Status zu signalisieren: Die höhergestellten Collaguas bevorzugten die längliche Schädelform und nutzten diese als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu der Elite ihrer Ethnie. "Die zunehmend einheitlicher werdende Schädelform kann das Gemeinschaftsgefühl gestärkt und die politische Gleichgesinnung innerhalb der Collaguas-Elite gefördert haben", erklärt Matthew Velasco gegenüber Science News.
Eine Art von kollektiver Identität
Ab dem 14. Jahrhundert drangen zudem die Inka immer weiter in das Gebiet der Collaguas vor und zwangen sie dazu, sich zusammenzutun, anstatt gegeneinander zu kämpfen. "In Zeiten von Krisen und sozialen Veränderungen kann die Entwicklung einer neuen Art von kollektiver Identität dazu führen, die politische Wiedereingliederung zu fördern oder zu destabilisieren", fährt der Bioarchäologe fort. "Dies könnte somit den Zusammenhalt zwischen den lokalen Elitegruppen gestärkt und die Kooperation vereinfacht haben."
Den Spezialisten zufolge wurde die Schädelumformung bereits im Säuglingsalter durchgeführt, indem man die Köpfe mit Bandagen umwickelte oder sie zwischen zwei Holzbretter klemmte. Man ging bereits davon aus, dass dieses Vorgehen genutzt wurde, um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Ethnie aufzuzeigen, doch die neue Studie fand außerdem heraus, dass dieses Verfahren nicht in allen Kulturen und über alle Zeitalter hinaus mit diesem Ziel praktiziert wurde.