Ukraine-Krieg: Könnte Russland Europa bald vom Internet abschneiden?
Während sich der Ukraine-Konflikt in die Länge zieht, halten Expert:innen einen Angriff des Kreml auf die Unterseekabel, über die 99% des weltweiten Internetverkehrs abgewickelt werden, für möglich. Die Folgen für Europa wären erheblich.
Könnte der Kreml angesichts der Sanktionen, die der Westen gegen Russland im Zusammenhang mit der Invasion in der Ukraine verhängt hat, versucht sein, einen Gegenschlag zu starten, um seine europäischen Nachbarn zu destabilisieren, indem er ihnen einfach den Internetzugang abschneidet?
Eine neue, von Paris Match veröffentlichte Umfrage zeigt, dass das Risiko tatsächlich sehr ernst zu nehmen ist, zumal die Folgen eines solchen Vergeltungsschlags für die Weltwirtschaft extrem wichtig wären.
Wie erhält man in Europa Zugang zum Internet?
Wenn wir täglich mit unseren verschiedenen Geräten - von Mobiltelefonen und Computern bis hin zu Tablets und vernetzten Uhren - auf das Internet zugreifen können, ist dies hauptsächlich einem riesigen Netz von Unterwasserkabeln zu verdanken, das 99 % des weltweiten Internets sicherstellt.
Die meisten großen Privatunternehmen (insbesondere die Big Five) haben damit begonnen, ihre eigenen Kabel zu verlegen und zu installieren, um ihre Geschäftstätigkeit ohne Abhängigkeit von externen Akteuren aufrechtzuerhalten.
Diese Kabel, von denen es in unseren Ozeanen Hunderte gibt, verfügen über keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen: Sie werden einfach von Spezialschiffen, den sogenannten Kabelverlegern, auf dem Meeresboden verlegt. Und es kann vorkommen, dass diese Unterwasseranlagen durch Naturereignisse (Tsunamis) oder menschliche Aktivitäten (Bohrungen) beschädigt werden. Dann werden die oft komplexen und langwierigen Reparaturarbeiten von spezialisierten "schwimmenden Fabriken" durchgeführt.
Wie könnte Russland diese Infrastrukturen angreifen?
Angesichts eines möglichen koordinierten Angriffs unter der Leitung von Wladimir Putin würden die Kapazitäten zur Reparatur dieser Kabel innerhalb eines akzeptablen Zeitraums jedoch stark unter Druck geraten. Und die russische Militärinfrastruktur würde aller Wahrscheinlichkeit nach ein solches Manöver ermöglichen, hauptsächlich dank seiner ozeanographischen Schiffe, die in der Lage sind, ein Mini-U-Boot bis in eine Tiefe von 6.000 Metern auszusetzen, in der sich diese Kabel befinden.
"Ist es möglich, Kabel zu kappen, die sich 6.000 Meter unter dem Atlantik befinden? Die Antwort lautet ja. Ist es möglich, dies zu verhindern? Die Antwort ist wahrscheinlich nein", sagt ein von der Zeitschrift befragter hochrangiger französischer Beamter, der für Verteidigungsfragen zuständig ist, ohne Umschweife.
Im Sommer 2021 wurde übrigens ein russisches Schiff, die Yantar, bei einer seltsamen Aufklärungsmission in der Irischen See gesichtet, bei der sich das ozeanografische Schiff anscheinend für Unterseekabel interessierte. Britische Militärquellen berichten, dass sich die Yantar während der Expedition "höchst verdächtig" verhalten habe. Dies rechtfertigt eine verstärkte Überwac hung dieses Schiffstyps durch die westlichen Geheimdienste seit Beginn des Konflikts in der Ukraine.
Mögliche Folgen für die Weltwirtschaft
Militärexpert:innen schließen derzeit weder die Möglichkeit einzelner, gezielter Angriffe noch die einer größeren Offensive aus. Sollte sich Russland zu einem massiven Angriff auf die Unterseekabel entschließen, hätte dies schwerwiegende Folgen für die Weltwirtschaft: Die meisten Transaktionen an den Börsen hängen von diesen Datentransfers ab. Auch Unternehmen, die US-amerikanische Rechenzentren nutzen, wären stark betroffen.
Der Zugang zu sozialen Netzwerken würde ebenfalls stark beeinträchtigt und die Wirtschaft würde geschwächt, da das Internet 3,4 % des BIP der Volkswirtschaften der Industrieländer ausmacht. Um zu verhindern, dass eine solche Situation Wirklichkeit wird, spricht Paris Match von der Möglichkeit für die Betreiber, Internetverbindungen nach Afrika umzuleiten, um sie dann wieder nach Europa zurückzuführen. Satelliten hingegen könnten diese Aufgabe nicht übernehmen, da ihre Kapazitäten nach Ansicht von Expert:innen zu gering sind.